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Aktuelles | 12.07.2005

BSG beendet Verschiebebahnhof der Krankenkassen und modifiziert bisherige Rechtsprechung

In einer aktuellen Entscheidung des Bundessozialgerichtes (Az.: B 3 KR 8/04 R), haben die Richter nicht nur entschieden, dass die Medikamentengabe als krankheitsspezifische Pflegemaßnahme nicht der Leistungspflicht der Krankenkasse entzogen werden kann, sondern haben ebenfalls eine verfassungskonforme Auslegung zu den Regelungen der seit Januar 2004 geltenden Neuregelung des § 37 SGB V im Kontext sämtlicher krankheitsspezifischen Pflegeleistungen getroffen. Gleichzeitig wurden dem MDK neue Vorgaben bei der Begutachtung mit auf den Weg gegeben.

Der Fall:

Die 1919 geborene Klägerin erhält Leistungen der Pflegestufe I. Der behandelnde Arzt verordnete ihr 2 x täglich Medikamentengabe in Form von häuslicher Krankenpflege. Die beklagte Betriebskrankenkasse lehnte diese Leistung jedoch mit der Begründung ab, dass diese Leistung in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme stehe und deshalb im Rahmen der Pflegeversicherung bei der Grundpflege berücksichtigt worden sei. § 37 SGB V (neue Regelung) findet bei Medikamentengabe keine Anwendung. Die Richter des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts gaben der Klage statt und verurteilten die Kasse zur Zahlung der Medikamentengabe. Gegen diese Entscheidung legte die BKK Hoesch Revision beim Bundessozialgericht ein und begründete ihre Klage im Wesentlichen damit, dass die Regelung des § 37 SGB V nicht auf sämtliche krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zu beziehen sei sondern sich vielmehr nur auf die im Gesetzestext genannten Kompressionsstrümpfe beziehe.

Die Richter des BSG sahen dies ganz anders und bestätigten die Entscheidungen der Vorinstanzen und verurteilten die BKK zur Zahlung und legten dabei folgende Grundsätze fest.

1. Nach den von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätzen zählen krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen nur unter engen Voraussetzungen zum Grundpflegebedarf und demnach in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Die Medikamentengabe stellt als krankheitsspezifische Pflegemaßnahme eine Form der Behandlungspflege dar, die grundsätzlich vom Verrichtungskatalog des § 14 SGB XI auch bei weiter Auslegung nicht erfasst wird. Eine Ausnahme mag allenfalls gelten, wenn das Medikament dazu dient, die Aufnahme der Nahrung durch den Mund und die Speiseröhre zu erleichtern, etwa Schluckbeschwerden zu beheben oder zu verringern.

2. Aufgrund des uneindeutigen Wortlauts und rechtlicher Bedenken der ab Januar 2004 geltenden Neuregelung des § 37 SGB V war es aus Sicht der Richter geboten, die Neuregelung über ihren Wortlaut hinaus auf sämtliche krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zu erweitern und die bisherige Rechtsprechung des 3. Senats in diesem Bereich mit Wirkung ab dem 01.01.2004 wie folgt zu modifizieren:

a) Es bleibt dabei, dass Maßnahmen der Behandlungspflege nur dann der Grundpflege zugeordnet werden können, wenn Sie entweder untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung der Grundpflege sind oder sie mit einer solchen Maßnahme objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Diese Zuordnung darf jedoch nicht zu einer Benachteiligung der Versicherten im Fall der Inanspruchnahme von Sachleistungen führen.

b) Aus diesem Grund ist dem Pflegebedürftigen ein Wahlrecht zuzustehen, ob er eine solche Zuordnung der Behandlungspflege zur Grundpflege wünscht oder nicht. Dieses Wahlrecht übt der Pflegebedürftige bei der ersten Antragstellung gegenüber der Pflegekasse aus, indem er Pflegegeld, Pflegesachleistung oder Kombinationsleistung beantragt. Es kann aber auch bei einem späteren Wechsel geltend gemacht werden.

c) Der MDK muss in dem zu erstellenden Gutachten die notwendigen Behandlungsmaßnahmen, die nach den hierzu entwickelten Kriterien der Grundpflege zugerechnet werden, gesondert aufführen und den entsprechenden Pflegeumfang in Minuten ausweisen. Ist Pflegegeld beantragt, erfolgt in der Gesamtbetrachtung des Pflegebedarfs die Addition des Pflegeumfangs für die verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen. Sind Pflegesachleistungen beantragt, ist von einer Addition abzusehen. Behandlungspflegen werden von der Krankenkasse bezahlt. Bei der Kombinationsleistung hängt die Berücksichtigung davon ab, ob der Antragsteller diese Pflegemaßnahmen ehrenamtlich (dann Addition) oder professionell (dann keine Addition) durchführen lassen möchte.

Wieder einmal haben die Richter des BSG gleich zu mehreren Problemen Klarheit geschaffen und durch das Wahlrecht der Versicherten und der Klarstellung zur Regelung des § 37 SGB V auf sämtliche auf der Grundpflege zurechenbare Behandlungspflegemaßnahmen, Benachteiligungen von Versicherten der GKV, die zugleich pflegebedürftig, sind abgeschafft.

"Ein begrüßenswertes Urteil, das hoffentlich unverzüglich von den Krankenkassen im Genehmigungsverfahren und dem MDK umgesetzt wird. Darüber hinaus haben die Versicherten nunmehr auch die Chance im Vorfeld zu erkennen, ob es günstiger ist, sich für das Pflegegeld oder die Sachleistung zu entscheiden. In den seltensten Fällen wird die Entscheidung für das Pflegegeld jedoch die günstigere sein.", so Anke Willers-Kaul, stellvertretende Geschäftsführerin des LfK.