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| 21.09.2016

LfK-Kongress PSG II: Neue Leistungen und Angebote für die ambulante Pflege

Köln – Begutachtung, Betreuung, Abrechnungsprüfung: Auf die ambulante Pflege kommen in den nächsten Monaten zahlreiche Neuerungen zu. Grundlage für die meisten ist das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II), das ab 2017 zu deutlichen Leistungssteigerungen für die Pflegebedürftigen führt. Auf dem „LfK-Kongress PSG II“, zu dem der Landesverband freie ambulante Krankenpflege NRW e. V. Mitte September nach Köln lud, informierten sich fast 300 Pflegedienstinhaber und -mitarbeiter darüber, was im neuen Jahr auf sie zukommt.

Dr. Barbara Gansweid vom MDK Westfalen-Lippe präsentierte auf dem LfK-Kongress PSG II Mitte September in Köln das neue Begutachtungsinstrument zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit.

Dr. Barbara Gansweid vom MDK Westfalen-Lippe präsentierte auf dem LfK-Kongress PSG II Mitte September in Köln das neue Begutachtungsinstrument zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit.

LfK-Geschäftsführer Christoph Treiß stellte auf dem LfK-Kongress PSG II in Köln die Auswirkungen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes auf das nordrhein-westfälische Vertragsrecht für die ambulante Pflege vor.

LfK-Geschäftsführer Christoph Treiß stellte auf dem LfK-Kongress PSG II in Köln die Auswirkungen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes auf das nordrhein-westfälische Vertragsrecht für die ambulante Pflege vor.

Vor allem die Vorträge zur neuen Begutachtungsrichtlinie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), die kurz zuvor verabschiedet worden war, wurden mit Spannung erwartet. Die Richtlinie legt fest, wie Pflegebedürftige ab 2017 in die neuen Pflegegrade eingestuft werden. Mit Dr. Barbara Gansweid vom MDK Westfalen-Lippe hatte der LfK eine Expertin eingeladen, die das neue Begutachtungsinstrument maßgeblich mitentwickelt und bereits zahlreiche MDK-Prüfer in der Anwendung geschult hat. Sie erläuterte das neue Verfahren, das aus insgesamt acht Modulen besteht, und stellte die einzelnen Kriterien, nach denen die Selbstständigkeit des Begutachteten festgestellt wird, im Detail vor. Dieses Selbstständigkeitsprinzip ist der größte Unterschied zum bisherigen Begutachtungsverfahren – alle alltäglichen Verrichtungen werden auf diesen Faktor hin überprüft.

Jede Alltagshandlung wird zudem genau einem Kriterium zugeordnet. Grundlegende Fähigkeiten wie zum Beispiel Aspekte der Mobilität können aber bei verschiedenen Kriterien eine Rolle spielen. Während Mobilität an sich als Modul nur mit zehn Prozent in die Bewertung einfließt, spielt sie beispielsweise bei zahlreichen weiteren Kriterien im Modul „Selbstversorgung“ in die Wertung hinein – hat also insgesamt eine wesentliche Rolle für die Eingraduierung inne. Neu ist zudem, dass alle Fähigkeiten bewertet werden – egal, ob sie notwendig sind oder nicht. „Das An- und Auskleiden zählt auch dann, wenn die Person nur noch einen Schlafanzug trägt – das ist der große Unterschied zum heutigen Bewertungsmodus.“

Am Ende werden die Punkte der einzelnen Module unterschiedlich gewichtet und mit Wertungspunkten belegt. Sind beispielsweise in der Zusammenfassung bei Modul 4 zwischen 19 und 36 Punkten eingetragen, so werden hier 30 Wertungspunkte vergeben. „Das ist für Sie immer dann interessant, wenn es darum geht, einzuschätzen, ob sich bei einer Eingraduierung ein Widerspruch lohnt oder nicht“, erläuterte die ehemalige Leiterin des Fachreferats Pflege beim MDK Westfalen-Lippe, die eigentlich seit August dieses Jahres den Ruhestand genießen könnte, aber noch immer unermüdlich für ihr letztes Projekt im Einsatz ist.

So bewerten die Gutachter

Im zweiten Vortrag ging sie konkreter auf die Bewertung durch die Gutachter ein. „Das Vorgehen ist im Prinzip nicht viel anders als heute schon.“ Lediglich der Blickwinkel sei durch das neue Verfahren etwas erweitert. Bei der Einschätzung der Selbstständigkeit haben die Gutachter beispielsweise vier Kategorien zur Auswahl: selbstständig, überwiegend selbstständig, überwiegend unselbstständig und unselbstständig. Dr. Gansweid erläuterte anhand von Beispielen, wie die Gutachter die Fähigkeiten einschätzen können. „Mehr oder weniger als die Hälfte der Aktivität selbstständig ausführen – das macht den Unterschied zwischen ,überwiegend selbstständig‘ und ,überwiegend unselbstständig‘ aus.“ Natürlich könne dies auch von der Tagesform eines Pflegebedürftigen abhängen – umso mehr sei eine ganzheitliche Betrachtung, möglicherweise über eine Woche, gefragt. „Der Gutachter ist angehalten, bei jedem einzelnen Kriterium immer nachzufragen und sich ein genaues Bild zu machen.“

Ab Oktober regelmäßige Abrechnungsprüfungen des MDK

Am Nachmittag standen einzelne Details des PSG II und des neuen PSG III in mehreren Parallelvorträgen im Fokus des Kongresses. Am aktuellsten und daher Publikumsmagnet war dabei das Thema Abrechnungsprüfung. Diese führt der MDK bereits ab Oktober 2016 regelhaft bei jeder Qualitätsprüfung durch. Gunnar Peeters vom Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) sprach über die Mechanismen, die dazu geführt hatten, dass das in diesem Jahr konzipierte PSG III in Windeseile um das Thema Abrechnungsprüfung ergänzt wurde. Medienberichte hatten die Schadenssumme durch betrügerische Abrechnungspraktiken auf rund eine Milliarde Euro beziffert. „Ich kann diese Zahl nicht nachvollziehen und halte sie für falsch und reißerisch übertrieben“, erklärte der Kassenvertreter. In der internen Statistik über Falschabrechnungen in den medizinischen Arbeitsfeldern seien Pflegedienste mit rund einem Viertel neben anderen Berufsgruppen wie Ärzten oder Physiotherapeuten vertreten.

„Natürlich sind unsere Verträge keine Empfehlungen, welches Personal beispielsweise eingesetzt werden könnte – sie enthalten Regelungen, an die sich jeder zu halten hat“, betonte Peeters. Pflegedienste, die die vertraglichen Regelungen erfüllen, seien im Hinblick auf die Abrechnungsprüfungen aber stets auf der sicheren Seite. Während einer Erprobung des Prüfschemas für die anstehenden Abrechnungsprüfungen im Bezirk Nordrhein hätten in etwa jedem fünften Fall Unregelmäßigkeiten festgestellt werden können. Zu einer Vertragskündigung sei es jedoch bislang in keinem davon gekommen, beruhigte Peeters die Anwesenden.

Vom Paragraphen zum Leistungskomplex

Wie das PSG II in Nordrhein-Westfalen in Vertragsrecht umgesetzt wird, schilderte LfK-Geschäftsführer Christoph Treiß. In Verhandlungen mit den Kostenträgern wurden die grundpflegerischen Leistungskomplexe (LKs) um einen Zusatz für die spezielle Versorgung von Demenzerkrankten ergänzt sowie zwei neue Leistungskomplexe in das Leistungskomplexsystem für Nordrhein-Westfalen aufgenommen: „Häusliche Betreuung“ und „Hilfe bei der Sicherstellung der selbstverantworteten Haushaltsführung“. Treiß erläuterte ausführlich die neuen Leistungsansprüche, die Einsatz- und Abrechnungsmöglichkeiten der neuen Leistungskomplexe und mögliche Kombinationen. „Bei jedem Einsatz zur häuslichen Betreuung lässt sich die erweiterte Hausbesuchspauschale LK 15a abrechnen – und das ohne Einschränkung“, betonte er.

Betreuungsangebote planen und aufbauen

In der zweiten Vortragsschiene ging es um den Aufbau von Angeboten zur Betreuung. Hier bietet das PSG II weitreichende Leistungsverbesserungen und damit Chancen für Pflegedienste, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Alfred Scherer, Geschäftsführer der LfK Fördergesellschaft für ambulante Pflegeberufe mbH, übernahm den theoretischen Unterbau: Wie konzipiere ich ein Angebot für Hauswirtschaft, Betreuung oder Entlastung? Scherer zeigte auf, wie klassisches Projektmanagement bei diesem Vorgang von der Idee über die Preisgestaltung bis zur Realisierung helfen kann. Dabei ließ er die Möglichkeit nicht außer Betracht, dass Pläne sich manchmal nicht umsetzen lassen. „Legen Sie von vornherein K.o.-Kriterien fest, die bestimmen, wann Sie die Reißleine ziehen wollen – egal ob im Vorfeld oder während der Aufbauphase“, riet er. „Das ist kein Versagen, sondern ein gesundes Risikomanagement.“

Wie es laufen kann, wenn es klappt, zeigten im zweiten Vortrag der „Betreuungsschiene“ die Wuppertaler Uwe Gohmann und Renate Hedderich. Beide hatten sich dem Thema Betreuung auf unterschiedliche Weise genähert und ließen das Publikum beim LfK-Kongress PSG II an ihren Erfahrungen teilhaben. LfK-Vorstandsmitglied Uwe Gohmann schilderte, wie er die niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen, die mit dem PSG I im Jahr 2015 möglich wurden, weitgehend für hauswirtschaftliche Versorgung und Einzelbetreuung einsetzt. „Inzwischen beschäftigen wir in einer eigenständigen Abteilung unseres Dienstes fünf Mitarbeiter, die derzeit 80 Patienten betreuen“, berichtete er.

Das „Steckenpferd“ von Pflegedienstinhaberin Renate Hedderich wiederum ist die psychiatrische Krankenpflege. Sie bietet in ihrem Stadtteil seit einigen Jahren ein „Demenz-Café“ an, in dem jeden Vormittag ausschließlich Gruppenbetreuung stattfindet. Ihr Angebot sieht sie als Vorstufe vor einer Tagespflegeeinrichtung. „Wir haben von Vornherein festgelegt, in diesem Bereich nicht zu pflegen“, schilderte sie. „Sonst könnten wir unsere Ressourcen nicht sinnvoll ausschöpfen.“

LfK-Geschäftsführer Christoph Treiß zeigte sich beim abschließenden Resümee zufrieden mit der Resonanz, die die in Windeseile ausgebuchte Veranstaltung unter den Verbandsmitgliedern erfahren hatte. „Inhaltlich waren die Vorträge – besonders zur Begutachtungsrichtlinie – für viele sehr erhellend“, befand er. „Auch das Thema Abrechnungsprüfung war für die meisten Teilnehmer sehr wichtig – nachdem die Prüfungsfragen jetzt vorliegen, wünschen wir uns als Verband nun einen substanziellen Dialog mit den Pflegekassen. Wir brauchen einen angemessenen Umgang mit den Prüfergebnissen. Natürlich kann ein Vertragsverstoß geahndet werden - aber nicht jeder Vertragsverstoß geschieht in betrügerischer Absicht.“

Treiß stellte die Ergebnisse einer interaktiven Online-Umfrage vor, bei der sich die Teilnehmer während des LfK-Kongresses PSG II ihre Erwartungen in Bezug auf die Pflegereform äußern konnten. „85 Prozent blicken positiv auf das kommende Jahr“, fasste er zusammen. Sogar 92 Prozent der Umfrage-Teilnehmer fühlten sich zudem bereits jetzt gut auf die steigende Nachfrage nach Betreuung und Hauswirtschaft eingestellt. Und immerhin etwas mehr als die Hälfte gaben an, nach dem heutigen Tag auch dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und dem neuen Begutachtungsverfahren gut vorbereitet entgegentreten zu können, genauso wie dem Thema der Abrechnungsprüfungen. Zu letzteren verwies Treiß auf die kostenfreien LfK-Regionalveranstaltungen am 23. und 24. November, bei denen der LfK über erste Erfahrungen aus den Prüfungen sowie über den entsprechenden Gesprächsstand mit den Pflegekassen berichten wird.